lundi 8 septembre 2014

Freeletics - gehypter Mist oder sinnvolle Ergänzungssportart?

Freeletics als Neuverpackung guter alter Ganzkörperübungen wie Liegestütze, Hampelmänner, Kniebeugen und Klimmzüge scheint zumindest in meiner Wahrnehmung eine immer breitere Beliebtheit zu erlangen. Neulich habe ich es sogar in der Bodensatz-TV-Sendung "taff" entdecken können.



Der ästhetische Traum vom Sixpack (dem am Bauch, nicht dem, das man sich in den Bauch schütten möchte), ein neues Körpergefühl und pathetisch formulierte Motivationsfloskeln ("Schmerz ist Schwäche, die deinen Körper verlässt") treiben mehr und mehr Couchpotatoes in Parks oder auf Spielplätze. Per Smartphone-App kann man zwischen verschiedenen Workouts wählen, einige sind kostenlos verfügbar, das komplette Programm gibt es für 5 Euro. Für 40 Euro gibts einen "persönlichen" Coach, der einen Trainingsplan zusammen stellt, je nach angegebenen Ziel (strength, endurance, beides) und Vorleistung wird dann so weit ich weiß nach einem Algorithmus der Wochenplan aufgestellt. Das eigene Workout wird mit Punkten belohnt - je schneller man das Workout beendet, desto mehr Punkte gibt es. Bonuspunkte gibt es für die Ausführung der einzelnen Übungen in der schwersten Variante, zusätzliche Punkte gibt es außerdem für neue persönliche Bestleistungen. Die Punkte sind in ein Levelsystem eingegliedert, nach World-of-Warcraft-Manier kann man hier also nicht seinen Avatar, sondern seinen eigenen Körper hochleveln (auch Gamification genannt). Außerdem kann man sich mit seinen Freunden und anderen Athleten vernetzen, so dass man deren Bestzeiten zu den jeweiligen Workouts stets mit angezeigt bekommt, was zusätzliche Motivation bringen soll.



In den Newsletter-Mails wird Anfängern empfohlen mit mindestens vier Workouts/Woche zu beginnen. Auch wenn einzelne Workouts anfangs länger als eine Stunde dauern sollten, solle man diese auf jeden Fall zu Ende führen. Hier ein "Selbsttest" einer Journalistin.

Neuerdings beinhaltet die App auch die Kategorie "Running". Hierbei werden wie bei runtastic o.ä. die Strecke per GPS und die Dauer aufgezeichnet, auch hier werden neue persönliche Bestleistungen mit Extra-Punkten belohnt und die Newsletter-Marketing-Motivations-Einpeitscher ermutigen einen, sich zu neuen Höchstleistungen zu "pushen". Per Knopfdruck kann ich meinen Mitstreitern auch zu einem guten Workout gratulieren. Kurzum: Es wird so ziemlich alles aufgefahren, um die Menschen zu motivieren, sich endlich mal ordentlich auszupowern. Dazu die Sprüche der Macher auf deren offiziellen Seiten, wie z. B.: "Your Personal Best is right in front of you. Don't lose sight. Chase your PB and once you've reached it, it's time to beat it" Es wird ein Gemeinschaftsgefühl suggeriert ("ihr alle seid free athletes...") und dass man immer an seine Grenzen gehen solle.



Nun meine Einschätzung: Ich habe jetzt ein paar Mal mitgemacht, mich mit Leuten im Park getroffen und drauf los freeletict. Ich behaupte jetzt mal, dass ich in körperlich guter Verfassung bin.

Das Freeletics-Training ist absolut fordernd und anfangs glaubt man nicht, dass man es überhaupt schafft, aber naja, natürlich schafft man es und hinterher fühlt man sich natürlich gut, weil die Geschichte rum ist. Da der Fokus allerdings zu sehr auf schneller Ausführung liegt als auf sauberem Training, neigt man zu hastigen Bewegungen, arbeitet eigentlich immer mit Umkehrschwung, bei den Burpees hängt der untere Rücken nach der 100. Wiederholung dann halt schon mal durch, bei den Klimmzügen reißt man sich mit Gewalt nach oben anstatt kontrolliert vorzugehen. Folge sind natürlich Muskel- und Gelenkschmerzen - aber hey: das ist ja die Schwäche, die meinen Körper verlässt (oder halt der Wirbel, der kurz vorm Ausrenken steht).



Da ja vor allem Neulinge angesprochen werden, die zusätzlich mit absurden Transformationsvideos gelockt werden, sehe ich hier die Gefahr, dass wenn man ausschließlich freeletics betreibt, es nach einigen Wochen/Monaten zu Überlastungen kommen kann. Oder es führt zu Frustration und man hört schnell wieder auf. Das ganze Konzept ist so mit äußeren Motivatoren ausgestattet, dass es mich irgendwie doch ein wenig abstößt. Ich mach es trotzdem ab und zu mit - aber nur als Ergänzung oder wenn ich wie nächste Woche im Urlaub bin, dann ist es sicherlich ein effektives Training.



Auf den Keks geht mir aber dieser pseudomasochistische Ansatz, bei dem das Sich-Quälen als eine Art Tugend stilisiert wird und im nächsten Satz klar wird, dass es dann doch bloß um den egoistischen Antrieb geht, möglichst gut auszusehen. Positiv ist, dass es viele Leute motiviert, Sport zu machen. Negativ ist, dass sehr wahrscheinlich viele Leute keine richtige Einweisung in diese Form des Trainings bekommen, niemand außer den Mittrainierenden die Ausführung kontrolliert, viele Leute erstmal viel kleiner anfangen müssten, viele Leute sich bei einer solchen Dauerbelastung wirklich schaden könnten und eigentlich alle Leute, die freeletics machen, auf jeden Fall auch unterstützend im Fitnessstudio trainieren müssten. Aber das Gegenteil ist der Fall: viele melden sich ab, frei und draußen zu trainieren ist ja schließlich effektiver - sagen zumindest die Macher. Ich bin mir da nicht so sicher. Das ist eigentlich mein größter Kritikpunkt. Den Level-Punkte-Mist kann ich wahrscheinlich nur nicht leiden, weil ich mich ungerne wie ein Rollenspielcharakter behandeln lassen will, der unbedingt noch 50 Klimmzüge machen muss, damit er endlich Level drölfzig erreicht.



Was meint ihr? Ist hier ein freeletics-Jünger, der mich erleuchten kann oder ist es im Grunde genommen nur Turnvatter Jahn/Zirkeltraining im neuen Gewand und eine weitere tolle Möglichkeit, den Leuten kurzfristig Geld aus der Tasche zu ziehen und sich nicht oder zu wenig darum zu kümmern, ob sich die Mehrheit im Laufe der Zeit dabei Schaden zufügt?




Aucun commentaire:

Enregistrer un commentaire